Die leicht bekleidete Blondine zählt den Countdown schon zum x-ten Mal herunter. Am Geldband ziehen überdimensionierte Euroscheine vorbei, 40.000 Euro sind schon im Jackpot und keiner ruft an. Dabei wäre die Lösung so einfach, ein rezeptfreies Medikament gilt es zu erraten. Im allerletzten Moment wird doch ein Anrufer durchgestellt. Der hat unglaublich scharfsinnig kombiniert, dass es sich nur um Hustensaft handeln kann und gewonnen.
Call-in-TV nennt sich das Geschäftsmodell, mit dem Privatsender jahrelang in ganz Europa und auch in Österreich für die Werbewirtschaft unattraktive Sendezeiten vormittags und spätnachts füllten. Billigst produzierte Gewinnshows, die Zuschauer konnten über Mehrwertnummern mitspielen und gewinnen – oder auch nicht. 70 Cent kostete ein Anruf meist, egal ob man durchgestellt wurde oder auf einem Band landete.
Bei dem lukrativen Abzock-Business wollte auch die Telekom Austria mit dabei sein. Vor Kurzem ist der börsenotierte, teilstaatliche Konzern allerdings endgültig wieder ausgestiegen. Insgesamt verlor die Telekom bei ihrem Call-in-Abenteuer die horrende Summe von 46 Millionen Euro. Der finanzielle Schaden ist fünf Mal höher als im Schmiergeld-Skandal rund um den Ex-Lobbyisten Peter Hochegger.
„Wir haben leider kein seriöses Geschäftsmodell gekauft, sondern ein auf Betrug angelegtes", mehr will man in der Telekom zum Desaster mit den Gewinnshows nicht sagen. Die Frage ist, wurde der Telekom tatsächlich derart übel mitgespielt oder war man einfach zu leichtsinnig? Die Staatsanwaltschaft ermittelt längst, die Causa hat sich zum kaum noch übersichtlichen Großverfahren ausgewachsen.
Die Vorgeschichte: Die vom umtriebigen IT-Mann und Präsidenten des Wiener Traditions-Fußballvereins Vienna, Herbert Dvoracek, gegründete und gemanagte Mass Response Service GmbH ließ im Media Quarter Marx, dem Mediencenter der Stadt Wien, Call-in-Shows am Fließband produzieren. Auch die Telekom verdiente anfänglich gut daran, sie stellte die Mehrwertleitungen zur Verfügung. Die Mass Response fertigte die Shows teils selbst an, teils wurden Zulieferer beauftragt, unter anderen auch die Marx Media.
Geliefert wurde europaweit, Großabnehmer in Österreich war ATV. Von September 2005 bis Ende 2010 liefen auf dem Privatsender 1900 Folgen von „Anrufen und gewinnen". Brachte ATV ein feines Körberlgeld, „sonst hätten wir das nicht so lange gemacht". Mass Response bezahlte Fixpreise für die Sendeflächen und ATV verdiente ab einer bestimmten Anruferzahl zusätzlich mit. In den Anfangsjahren griffen pro Sendung Zigtausende leichtgläubige Zuseher zum Hörer. Dvoracek hatte 51 Prozent der Mass Response an eine deutsche Gruppe verkauft. 2007 übernahm die Telekom die gesamte Mass Response um rund 20 Millionen Euro. 7,5 Millionen Euro davon kassierte Dvoracek, steuerfrei. Er blieb als Geschäftsführer für ein monatliches Salär von 10.000 bis 12.000 Euro weiter an Bord. Die Telekom setzte noch ihren Beteiligungsmanager Andreas Krenn in die Firmenleitung.
Warum kaufte sich die Telekom einen Kunden? Das Festnetzgeschäft brach damals immer weiter ein, die Konkurrenz lockte auch bei den Mehrwertnummern mit billigeren Tarifen. Mit der Übernahme sollte Umsatz gesichert werden. Im Vorstand waren Rudolf Fischer, vor einigen Wochen in der Kursmanipulationsaffäre nicht rechtskräftig zu drei Jahren Haft verurteilt, sowie der um den Kronzeugen-Status ritternde Ex-Manager Gernot Schieszler zuständig.
Das neue Engagement erwies sich jedoch bald als wenig gewinnträchtig. Die Abkassier-Shows gerieten europaweit ins Visier der Konsumentenschützer und Medienberichte über Manipulationen bei den Gewinnen ließen die Anrufer ausbleiben. 2010 wollte die Telekom mit dem nicht gerade imageförderlichen Geschäftszweig nichts mehr zu tun haben und verordnete den Ausstieg. Pech freilich, dass Mass Response langfristige Verträge mit den Sendern hatte. Daher waren hohe Abschlagszahlungen fällig und die Telekom musste ihre Tochter mit einer Eigenkapitalspritze von 19 Millionen Euro vor der Insolvenz retten.
Machte in Summe schon 39 Millionen Euro, die der Konzern in das Engagement in St. Marx butterte. 2009 glaubte auch Telekom-Chef Hannes Ametsreiter noch fest an das Geschäftsmodell und blätterte für 25 Prozent am Zulieferer Marx Media runde drei Millionen hin. An Christian Bodizs, einen der Treuhänder des ehemaligen kasachischen Botschafters Rakhat Aliyev, der sich im Mediencluster der Stadt Wien mit sieben Millionen Euro einkaufte. Vor Kurzem hat die Telekom ihren Anteil an der Marx Media an Bodizs zurückgegeben. Warum nochmals drei Millionen? Man dürfte wohl darauf gehofft haben, dass der ORF nach St. Marx übersiedelt und neues Geschäft bringt.
Das Sorgenkind Mass Response erhielt zudem noch einen Telekom-Kredit über vier Millionen Euro. Erst dann zog Ametsreiter, der das Darlehen zuvor abgesegnet hatte, die Notbremse. Die Telekom verscherbelte das Fass ohne Boden über ein Management-Buy-out. Dvoracek und Krenn wurden mit einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft verabschiedet. Ihnen werden „diverse Malversationen" vorgeworfen. Die Telekom sei beim Zweck des Darlehens getäuscht worden, statt für neue Großaufträge und Investitionen sei ein erheblicher Teil für eine „Vermittlungsprovision" verwendet worden. Der Konzern schloss sich als Privatbeteiligter mit vorerst vier Millionen Euro an. Die Justiz ermittelt wegen des Verdachts der Untreue.
Otto Dietrich, Anwalt des Vienna-Präsidenten Dvoracek, schießt scharf gegen die Telekom. Deren Anzeige beruhe auf unrichtigen Annahmen. „Es wird hier offenbar der bequemste Weg gewählt. Anstatt einer sorgfältigen internen Aufarbeitung werden den Ermittlungsbehörden unvollständige Sachverhalte angezeigt und ehemalige Mitarbeiter kriminalisiert". Die Vorwürfe der Telekom seien „aus den bisherigen Ermittlungen widerlegt".
Der nunmehrigen Mass-Response-Eigentümer entlastete nämlich mit einer am 16. April 2013 bei der Staatsanwaltschaft eingebrachten Darstellung Dvoracek und Krenn. Seltsam auch, dass die Telekom den Firmenwert der Mass Response in ihrer Bilanz 2010 auf null abschrieb, die Marke aber mit 1,5 Millionen bewertete.
Dem Vienna-Präsidenten wird außerdem die Manipulation von Gewinnspielen vorgeworfen. Gemeinsam mit rund 60 Beschuldigten wird Dvoracek des schweren gewerbsmäßigen Betrugs verdächtigt.Alfred G., Ex-Geschäftsführer der Marx Media, dem der Kronzeugen-Status in Aussicht gestellt wurde, packte aus und erzählte der Staatsanwaltschaft bei seiner Einvernahme am 18. März detailliert, wie die Anrufer getäuscht wurden. Der ebenfalls Beschuldigte M., ein früherer Geschäftspartner von Dvoracek, habe ihn ersucht, Statisten aufzutreiben. Diese sollten sich während der Sendezeit zur Verfügung halten und bei Bedarf telefonisch in die Shows geschaltet werden. Gewannen Sie, erhielt M. das Geld im Kuvert wieder zurück. 500 Euro durften die Statisten behalten, gegen Quittung. Dvoracek beteuert, davon nichts gewusst zu haben. Sein Anwalt schließt aus, „dass die Mass Response oder die früheren Geschäftsführer in irgendwelche Malversationen involviert waren". Die Staatsanwaltschaft schätzt den Schaden aus den Manipulationen vorläufig auf „insgesamt einige Millionen Euro". Noch könne das Volumen nicht exakt beziffert werden.
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