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Kasachstan und die Sinnkrise der OSZE

michael_laubschKasachstan hat 2010 den Vorsitz in der OSZE inne. Energielieferungen und Sicherheitsaspekte stehen auf der Prioritätenliste des Westens höher als Fragen der Menschenrechte und des Reformprozesses in Kasachstan. Der Bonner Zentralasienexperte Michael Laubsch meint im Gespräch mit EurActiv.de, in einen OSZE-Gipfel sollte man lieber nicht zu viel Elan stecken.


EurActiv.de: Was bedeutet es für die OSZE und gleichzeitig für Kasachstan, dass Astana die Präsidentschaft übernommen hat?


Laubsch: Kasachstan ist als erster Staat der ehemaligen UdSSR Chef der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Dies sollte man immer wieder betonen, wenn man das Thema des Vorsitzes diskutiert. Die Organisation an sich befindet sich seit einiger Zeit in einer "Sinnkrise". Viele Beobachter stellen fest, dass die OSZE, welche in der Hochzeit des Kalten Krieges als eine kontrollierende und vertrauensbildende Institution gegründet worden ist, den Anforderungen des 21. Jahrhunderts mit seinen neuen Herausforderungen nicht mehr gewachsen ist. Aspekte, wie Umwelt, Klimaerwärmung, globale Finanzkrise können mit den derzeitigen Mitteln der Organisation in Wien nicht wirksam bekämpft werden.


Abgekühltes Verhältnis


Daneben ist es in den letzten Jahren zu einer Abkühlung im Verhältnis zwischen den westlichen Mächten und Russland gekommen. Die Russen fordern aktiv eine Neuausrichtung der OSZE, mit Fokus auf eine neu zu errichtende europäische Sicherheitsstruktur unter gleichzeitiger Minimierung des Fokus auf Menschenrechte und Demokratisierung.


Gleichzeitig sollte man bedenken, dass weder EU noch NATO eine Basis bilden können für eine Intensivierung der Beziehungen zwischen östlichen und westlichen Staaten auf der Grundlage von Gleichberechtigung und wechselseitiger Anerkennung.


Europäische und eurasische Staaten, die einerseits zwar Mitglied in der OSZE sind, aber andererseits nicht der EU und NATO angehören, sind besorgt, dass ihre Interessen nicht berücksichtigt werden, da sie weder in der einen noch anderen Institution vertreten sind. Daher wäre hier ein Ansatzpunkt für die OSZE, zu einer gesamteuropäischen Organisation besonders im Sicherheitsaspekt zu werden.


EurActiv.de: Und neben dem Sicherheitsaspekt?


Laubsch: Trotz alledem bestehen die Hauptaspekte der Organisation nicht nur im Sicherheitsbereich, sondern werden durch den Aspekt Wirtschaft/Ökologie sowie die menschliche Dimension ergänzt. Was Wirtschaft betrifft, kann mit Fug und Recht behauptet werden, die Republik Kasachstan sei der Hauptmotor der Region, wenn nicht gar für den gesamten GUS-Raum.


Betrachtet man hingegen den menschlichen Bereich, ist natürlich festzuhalten, dass das Land noch einige Defizite vorzuweisen hat und hier das erste Mal ein Land der OSZE vorsitzt, welches viele Kernthemen der OSZE noch nicht umgesetzt hat und viele NGOs aus dem Menschenrechts-Bereich, aber auch der Medienbeauftragte der Organisation selber sowie ODIHR kritisieren wiederholt das Verhalten der Regierung Kasachstans in diesem Bereich. (Anm. d. Red.: ODIHR ist das Office for Democratic Institutions and Human Rights, das Büro der OSZE für Demokratie und Menschenrechte. Es hat seinen Sitz in Warschau.)


Reformen nicht voll durchgesetzt


Gerade die westlichen Unterstützer des kasachischen Vorsitzes 2010 hatten im Vorfeld die Hoffnung geäußert, dass sich Reformen im Land durchsetzen werden, sollte Kasachstan den Zuschlag bekommen. Dies ist nicht in vollem Umfang geschehen, und dies muss auch von den Unterstützern so anerkannt werden. Solange allerdings der Vorsitzende 2010 nicht an den Grundprinzipien der OSZE in dieser Frage rüttelt, wird dieser Vorsitz ohne große Probleme an den nächsten Vorsitzenden Litauen weitergehen.


EurActiv.de: Die OSZE-Präsidentschaft Kasachstans wurde von der deutschen Seite unterstützt, und zwar als Teil der Zentralasienstrategie. Wie bewertet man heute diese Strategie?


Laubsch: Die Zentralasienstrategie der EU, besonders gepusht durch die deutsche Bundesregierung, ist zwar ein positives Signal für die zentralasiatische Region, jedoch sehe ich keine sonderliche Substanz in ihr; dies gilt zumindest für die Jahre 2007 bis einschließlich 2009. Die Bundesregierung, zumindest die letzten beiden, haben uneingeschränkt Kasachstan die Unterstützung für den OSZE-Vorsitz aus den oben genannten Gründen zugesagt.


Hinzu kommt noch der doch sehr einseitige Fokus der EU auf Energiefragen unter gleichzeitiger Auslassung vieler Aspekte aus dem Bereich Menschenrechte. Ein besonderes Beispiel hierfür ist das Fallenlassen jeglicher Sanktionen gegen Usbekistan. Hier hat die EU eindeutig gezeigt, dass sie eher an einer engen Kooperation mit Diktatoren wie Islom Karimov und möglicher zukünftiger Energielieferungen interessiert ist als an einer grundlegenden Reform- und Transformationsbewegung.


Da der Menschenrechtsaspekt in der Zentralasienstrategie zumindest auf dem Papier Priorität besitzt, kann also nur von einem bisherigen Misserfolg gesprochen werden. Die EU ist kein geopolitischer Player, wie es etwa die USA sind.


EurActiv.de: Kann man vorstellen, dass der nächste OSZE-Gipfel in Astana, der Hauptstadt Kasachstans, findet?


Laubsch: Zwar haben alle Mitgliedstaaten der OSZE grundsätzlich positiv auf den Vorschlag der kasachischen Regierung in Bezug auf den Gipfel reagiert, andererseits aber auch deutlich gemacht, dass ohne eine substantielle Tagesordnung es keinen Sinn machen würde, einen solchen Gipfel abzuhalten. An dieser Position hat sich nichts geändert. Daher ist es weniger realistisch, von einem solchen Gipfel als mögliches Hauptziel der kasachischen Präsidentschaft zu sprechen. Zumal es mittlerweile terminlich schwierig werden wird, bis Ende dieses Jahres einen Gipfel mit allen Staats- und Regierungschefs noch auf die Beine zu stellen. Man sollte daher nicht zu viel Elan in diese Frage stecken, auch wenn es sicherlich ein historisches Ereignis wäre, nach 1999 den ersten Gipfel der OSZE-Staaten wieder realisieren zu können.


EurActiv.de: Im vergangenen Jahr wurde der kasachische Menschenrechtler Jewgeni Jowtis zu vier Jahren Haft verurteilt. Wie soll man die Menschenrechtslage in Kasachstan bewerten?


Laubsch: Dies ist im Lande weiter diffus. Den westlichen Regierungen liegen bisher gerade im Fall Jowtis keinerlei Informationen vor, mit denen es möglich wäre, den Fall objektiv zu beurteilen. Anders als alle anderen zentralasiatischen Staaten hat Kasachstan in dieser Frage einige Bewegungen zugelassen, ohne natürlich gleichzeitig zu einem Musterknaben im Menschenrechtsbereich aufzusteigen. Das Land muss noch vieles realisieren, und ich hoffe nicht, dass mit dem OSZE-Vorsitz nun diese Bewegungen aufhören werden.


EurActiv.de: Spielt der Fall Alijew, Ex-Botschafter seines Landes und Ex-Schwiegersohn des Präsidenten, für die westliche Gemeinschaft eine wichtige Rolle?


Laubsch: Kurz und knapp: nein.


EurActiv.de: Die NGOs von EU und die Regierung Kasachstans — effiziente Zusammenarbeit oder Probleme?


Laubsch: Von einer effizienten Zusammenarbeit kann sicherlich keine Rede sein. Dies liegt an der Ideologisierung beider Seiten. Viele westliche NGOs sind der Meinung, lieber auf die Regierung "draufzuhauen" als zu versuchen, in einen konstruktiven Dialog zu treten. Kasachstan wiederum nimmt Kritikpunkte von westlichen Menschenrechtsgruppierungen zu wenig Ernst. Beide Seiten sollten etwas unvoreingenommener aufeinander zugehen.


Interview: Sergej Volkov, Ewald König

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