Eine schillernde Vita und schwerwiegende Anschuldigungen: Jahrelang weigerten sich Österreichs Behörden, gegen Rachat Alijew zu ermitteln, obwohl ein kasachisches Gericht ihn in Abwesenheit wegen Folter verurteilt hatte. Nun hat Österreich ein Verfahren eingeleitet - doch jetzt hat Alijew sich abgesetzt.
Offiziell ist Rachat Alijew verschwunden; er soll sich nach Malta abgesetzt haben. Malta ist schön, dort ist es wärmer als in Wien und auch sicherer für einen Mann wie Alijew - was ein Grund dafür sein mag, dass der ehemalige kasachische Botschafter in Österreich und ehemalige Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew sich nach Malta geflüchtet hat.
In Österreich war Rachat Alijew, ehemaliger kasachischer Botschafter, jahrelang sicher. Das Justizministerium in Wien dementiert jede wie auch immer geartete politische Zurückhaltung in dem Fall. (© AP)
Andererseits: Wer weiß, ob das stimmt? Er hat wieder geheiratet nach der Scheidung von Nasarbajews Tochter. Seine zweite Frau soll noch in Österreich leben und es heißt, er halte sich bisweilen dort auf. Aus dem Wiener Innenministerium ist hingegen zu hören, der Ex-Diplomat, der einst in Wien dank eines mondänen und spendablen Lebensstils über hervorragende Beziehungen zur besseren Gesellschaft verfügte, habe gar keine Aufenthaltserlaubnis mehr.
All das ist wichtig, denn gegen Alijew, der in seiner Heimat in Abwesenheit wegen Entführung und Folter zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, ist mittlerweile in Österreich ein Strafverfahren eingeleitet worden wegen Mordes und erpresserischer Entführung. Doch der Mann ist ja offenbar nicht mehr da. Und es gibt nicht wenige Beteiligte an dieser Affäre, die System dahinter vermuten, dass Österreichs Justiz lange Zeit nicht gegen den Kasachen ermittelt hat.
System hinter der Passivität? Erst unlängst hatte es Streit zwischen Litauen und Wien gegeben, weil die österreichischen Behörden einen russischen Ex-KGB-Offizier laufen ließen, den Vilnius per europäischem Haftbefehl sucht. Moskau soll heftig interveniert haben; Wien selbst sagt, der Haftbefehl sei zu unpräzise gewesen.
Auch in diesem Fall wurde Kritik laut, dass Wien gern internationale Regeln der Strafverfolgung außer Kraft setze, wenn es den eigenen Interessen diene. Erhard Busek, Ex-Vizekanzler Österreichs, sagte dazu dem Standard: "Wir können nicht trompeten, dass wir für Menschenrechte sind, auf eine internationale Gerichtsbarkeit hoffen - und uns gleichzeitig so verhalten. Wir sollten demnächst zu Fragen der Gerechtigkeit den Mund halten."
Verdächtiger mit einer schillernden Vita
Den Mund zu halten - das gelingt der Regierung in Wien im Falle von Rachat Alijew allerdings immer weniger, obwohl sie sich im recht sieht. Die Liste der Vorwürfe gegen den Mann mit der schillernden Vita, der sich selbst als Opfer des Regimes Nasarbajew bezeichnet, ist lang. In seiner Heimat soll er dereinst zwei Leibwächter des früheren Ministerpräsidenten Azekhan Kazhegeldin gefoltert haben. Die beiden Männer sollten Ende der 90er Jahre offenbar mit Gewalt dazu gebracht werden auszusagen, dass der Premier einen Staatsstreich gegen Schwiegervater Nasarbajew plane. Alijew war damals selbst Vize-Chef des Geheimdienstes.
Die beiden Leibwächter des Premiers wurden wegen Hochverrats angeklagt und später begnadigt; einer der beiden lebt jetzt in der Nähe von Brüssel, ist arbeitsunfähig und hat Alijew mit Hilfe seines Anwalts Lothar de Maizière, dem letzten Ministerpräsidenten der DDR und CDU-Politiker, auf Schmerzensgeld verklagt.
Mindestens ebenso drastisch ist der zweite Vorwurf: Alijew soll die Ermordung zweier Bankmanager in Auftrag gegeben haben; er war Mit-Eigner der Nurbank, für welche die Manager tätig waren. Die beiden Männer verschwanden im Januar 2007 spurlos. Mordvorwürfe kursierten; als die Ermittlungen gegen Alijew in Kasachstan aufgenommen wurden, berief man ihn als Wiener Botschafter ab. Die kasachische Seite stellte den verlorenen Sohn als Mörder dar. Alijew bestritt alle Vorwürfe und präsentierte sich als Dissident. In einem Buch wirft er Kasachstan systematische Menschenrechtsverletzungen und massive Korruption vor. Was wahr ist, was erdacht? Keiner kann das so genau sagen.
Die kasachischen Behörden stellten einen Auslieferungsantrag, die Österreicher lehnten ab. Sie begründeten das, durchaus plausibel, mit dem Verweis darauf, dass Alijew in seiner Heimat kein faires Verfahren zu erwarten habe. Tatsächlich ist die Regierung von Nasarbajew dafür bekannt, dass sie ihre Feinde unnachgiebig verfolgt.
Alijew argumentierte außerdem erfolgreich, die Vorwürfe seien manipuliert und Teil einer politischen Kampagne. Er werde verfolgt, sagte er, und bekam offenbar von den Österreichern Personenschutz. In Wien wurde ein Beamter verurteilt, der für Kasachstan gegen Alijew gespitzelt haben soll. Die Geschichte wurde zur Staatsaffäre, Wien sah sich durch Astana unter Druck gesetzt, Bundespräsident Heinz Fischer sagte eine Reise nach Kasachstan ab.
Leichen in Fässern aufgetaucht
Wer Täter und wer Opfer ist, blieb - und bleibt - weiter unklar. Gleichwohl wurde in Kasachstan gegen Alijew ein Indizienprozess geführt. 2008 wurde er verurteilt. Kasachstan stellte nun einen weiteren Auslieferungsantrag in Wien. Es dauerte drei Jahre, bis auch dieser abgelehnt wurde. Die Begründung war die gleiche wie zuvor.
Nur das Bild hat sich geändert. Mittlerweile sind die Leichen der beiden Bankmanager identifiziert worden, deren Ermordung Alijew in Auftrag gegeben haben soll. Sie lagerten offenbar in Fässern auf dem Gelände einer ehemaligen Firma Alijews. Der Leibwächter hat sich gemeldet. Die Witwen der Bankmanager haben sich in Österreich einen emsigen Anwalt gesucht, Gabriel Lansky, der Alijew außerdem Geldwäsche vorwirft.
Zudem wird auch in Deutschland, in Krefeld, gegen Alijew ermittelt. Staatsanwalt Hans-Dieter Menden bestätigt, dass seine Behörde untersuche, ob Alijew - diesmal mit Hilfe des eigenen Schwiegersohns, eines Mannes namens Muratkan A. - über einige Firmen Geldwäsche betrieben habe. "Die Firmen sind pleite, wir haben daher über die Unterlagen des Insolvenzverwalters guten Einblick in die Vorgänge", so Menden.
Auch wenn immer wieder Gerüchte kursieren, die kasachische Regierung unterstützte - durchaus im eigenen Interesse - einige der klagenden Parteien, so ist doch über die Jahre viel Belastendes zusammengekommen gegen Rachat Alijew. Womit Österreichs Justiz nun den schwarzen Peter hat. Ihr wird vorgeworfen, sie habe Alijew geschützt, indem sie nicht längst selbst ein Verfahren gegen ihn eingeleitet habe. Anwalt Lansky beschwert sich, Wien habe den Mann "lange wie einen Staatsgast behandelt" und sich später als "eine Art Fluchthelfer betätigt".
"Geschützt haben wir niemanden"
Der Anwalt des Leibwächters, Lothar de Mazière, findet es noch immer empörend, dass sich "ein Folterer in Österreich des Aufenthaltsrechts erfreuen durfte". Er werde den Verdacht nicht los, so der Berliner Jurist, dass man sich in Österreich zu fein gewesen sei, um die "Binnenverhältnisse von Ganoven" zu klären. "Aber bei Menschenrechtsverletzungen hört das auf. Menschenrechtsverletzer müssen auch in der EU zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie ihre Taten außerhalb der EU begehen."
De Maizière hat seinen Parteifreund Elmar Brok alarmiert. Brok ist Mitglied des Europaparlaments und sagt: "Wenn jemand nicht ausgeliefert wird, weil er in seinem Heimatland keinen fairen Prozess erwarten kann, dann kann es für einen solchen Mann in der EU keinen rechtsfreien Raum geben. Ein Täter, dem Folter und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, darf in der EU keinen Schutz finden."
Das Justizministerium in Wien dementiert jede wie auch immer geartete politische Zurückhaltung im Fall Alijew. Man habe sich schlicht an das Gesetz gehalten. So lange Auslieferungsverfahren liefen, ermittele man nicht selbst. Nun, da Astana auf einen weiteren Antrag verzichtet habe, werde man tätig. Doch der Mann ist ja verschwunden.
Eingeleitet werde ein Verfahren, so der Abteilungsleiter der Sektion Strafrecht im Wiener Justizministerium, Christian Pilnacek, "natürlich auch, wenn eine Person sich nicht in Österreich aufhält. Wir müssen alles tun, um Beweise zu sichern."Außerdem ermittele man noch gegen vier andere Mit-Beschuldigte, die "laut Erhebungsstand" Komplizen von Alijew gewesen seien. "Geschützt haben wir niemanden", betont Pilnacek noch einmal.
Nicht nur bei den mutmaßlichen Opfern und ihren Anwälten hat man da so seine Zweifel. Die EU-Kommissarin für Justiz, Viviane Reding, ließ bereits im März in Wien anfragen, wie man es dort halte mit eigenen Ermittlungen gegen einen mutmaßlichen Täter, den man nicht ausliefern wolle, der aber offenbar dringend tatverdächtig sei. Offenbar gab es keine Antwort. Nun, nachdem in Wien mit Beatrix Karl eine neue Ministerin im Amt ist, machte Reding noch einmal auf den Fall aufmerksam. Doch nach Angaben ihres Hauses wartet sie immer noch auf eine "politische Antwort".
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