Nervöser Nasarbajew verordnet seinem Volk eine Blitzwahl

Alle reden über Gaddafi, die übrigen Autokraten nutzen die günstige Gelegenheit. So lässt Nursultan Nasarbajew, Herrscher in Kasachstan, sich schnell noch einmal wählen. Seine Gegner sind reine Zählkandidaten - und nur die mutigsten unter seinen Bürgern wagen einen Aufruf zum Wahlboykott.


Hamburg - Alexander Lukaschenko, der letzte Alleinherrscher in Europa, nutzt die Situation und rechnet im Windschatten des Libyen-Bombardements mit allen Oppositionellen ab, die am Tag der Präsidentenwahl im Dezember gegen ihn auf die Straße gegangen sind - jede Woche stehen einige dieser jungen Leute vor Gericht, vier Jahre Arbeitslager erhalten sie im Schnitt. In der Elfenbeinküste sitzt Ex-Staatschef Laurent Gbagbo weiter im Präsidentenpalast und führt Krieg gegen den Sieger der letzten Wahl, seinen Kontrahenten Alassane Ouattara. Der simbabwische Gerontokrat Robert Mugabe drangsaliert, wenn er gerade mal im Lande ist, weiter die auf internationalen Druck zustande gekommene Einheitsregierung mit der Opposition. Nur Kim Jong Il fällt derzeit aus dem Rahmen - er nervt ausnahmsweise mal nicht den Rest der Welt, im Gegenteil: Der Chef des Hungerlandes hat den Japanern 500.000 Dollar Soforthilfe überwiesen.


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Aber es gibt ja auch noch die anderen, die wir etwas vorsichtiger Autokraten oder Selbstherrscher nennen. Bei denen das Volk aber genauso wenig zu sagen hat wie bei Muammar al-Gaddafi und das Wohlergehen des regierenden Familienclans ebenso das alleinige Maß aller Dinge ist. Trifft für die ebenfalls zu, was Nicolas Sarkozy mit Blick auf die Strafaktion gegen Gaddafi so vollmundig gesagt hat? "Jeder Herrscher muss verstehen, dass die Reaktion der internationalen Gemeinschaft und Europas von nun an jedes Mal die Gleiche sein wird", kündigte Europas neuer Vorkämpfer für weltweite Gerechtigkeit an.


Im kasachischen Parlament sitzt nur eine Partei - das "Licht des Vaterlands"


Nehmen wir, aus aktuellem Anlass, Nursultan Nasarbajew, den Herrscher von Kasachstan. Das ist jenes Land, gegen das Deutschland gerade 4:0 im Fußball gewonnen hat. Es liegt zwischen Russland, China und nah an Afghanistan, ist der größte Binnenstaat der Erde, hat aber nur 16 Millionen Einwohner. Es gibt in Kasachstan sogar ein Parlament, in dem freilich nur eine einzige Partei vertreten ist, die Partei des Präsidenten: Nur Otan (Licht des Vaterlands). Und der Präsident ist inzwischen auch schon geschlagene 22 Jahre an der Macht.


Kommenden Sonntag ruft er zur Präsidentenwahl. Das klingt gut, Gaddafi hat so etwas nie gemacht. Aber die Umstände dieser Wahl sind so eigenartig, dass man näher hinschauen sollte. Wenn man denn will.


Seine Untertanen zur Wahlurne zu bitten, hatte der 70-jährige ehemalige KP-Chef eigentlich gar nicht vor, denn sein Parlament hatte ihn im letzten Sommer zum unangefochtenen "Führer der Nation" erklärt. Was heißt: Alle wichtigen Fragen des Staatsaufbaus und der Sicherheit des Landes müssen künftig ohnehin mit ihm abgestimmt werden, selbst dann, wenn er einmal nicht mehr Präsident sein sollte. Nasarbajew und seine Familie sind außerdem von jeglicher Strafverfolgung befreit; ein Angriff auf den "Führer" gilt als terroristischer Akt. Der Präsident hatte sich, allerdings nur sanft, gegen diesen Beschluss gewehrt. Das Parlament verstand das als Zustimmung und setzte ihn in Kraft.


Nur ein halbes Jahr später nickten die Abgeordneten, völlig logisch, auch eine Verfassungsänderung ab, wonach die nächsten regulären Präsidentenwahlen 2012 und 2017 hinfällig seien - stattdessen sollte das Volk in einem Referendum Nasarbajews Amtszeit bis 2020 verlängern. Begründung: Es gebe keinen würdigeren Staatenlenker als ihn. Schwer vorzustellen, dass die Abgeordneten auch diese Initiative ohne Billigung des "Führers der Nation" gestartet hatten.


Der Westen protestiert - und Nasarbajew lenkt ein


An dieser Stelle, immerhin, meldete sich der Westen. Der hatte sich im Dezember ausgerechnet in der kasachischen Hauptstadt Astana zum OSZE-Gipfel getroffen und dort - unter Vorsitz Nasarbajews - das Streben nach Demokratie und guter Regierungsführung bekräftigt. Sich vom Kasachen-Führer nun derart vorführen zu lassen, ging zu weit - also wies man ihn mit sanften Worten zurecht. Sanft deswegen, weil Kasachstan nicht nur ein Land mit riesigen Öl- und Gasvorräten ist, sondern auch einer der wichtigsten Vorposten auf dem Weg nach Afghanistan. Ein Land, das dem Westen unverzichtbar ist.


Nasarbajew lenkte ein. Er bat sein Parlament um Verständnis, dass er die Idee vom Referendum fallenlassen müsse, und rief nun doch Präsidentenwahlen aus, vorzeitige. Vorbereitungszeit: ganze zwei Monate.


Wenn schon wählen, dann möglichst schnell. Die Eile hat ihren Grund. Kasachstan ist zwar eines der rohstoffreichsten Länder der Welt, aber fast jeder dritte Kasache lebt unterhalb des offiziellen Existenzminimums, zwölf Prozent sind als arm eingestuft. Die Korruption ist horrend, die Kluft zwischen Arm und Reich unerträglich geworden. Die Protestbereitschaft im Lande wächst, nicht nur die Ölarbeiter im Westen streiken, auch jene, die durch die Bankenpleiten während der Weltwirtschaftskrise Geld verloren haben, sammeln sich. Und, gar keine Frage: Die Unruhen in Tunesien, Syrien, Ägypten haben Nervosität beim "Führer der Nation" ausgelöst.


Laut dem russischen Magazin "The New Times" hat der Nasarbajew-Clan geschätzte sieben Milliarden Dollar in seine Taschen gewirtschaftet. Nicht ganz so viel wie Ben Ali in Tunesien, aber immerhin.


Nasarbajew also hat es nun eilig, denn Wahlen sind angesichts solcher Tatsachen mit einem Restrisiko behaftet. Denn natürlich muss sichergestellt sein, dass kein anderer außer Nasarbajew gewinnt. Normalerweise ist das kein Problem, die Wahllokale und die Wahlkommissionen sind in der Hand der staatlichen Behörden; schon bei der Wahl 2005 kam Nasarbajew mit 91 Prozent der Stimmen durchs Ziel. Aber ein wenig Demokratie nach außen hin muss ja sein, und da liegt der Hase im Pfeffer. 22 Frauen und Männer, unter ihnen ein Arbeitsloser, ein Wahrsager und ein Rentner, gaben diesmal neben Nasarbajew ihre Bewerbung ab, ihre Namen kannte bis dahin so gut wie niemand im Land. Hatten sie wirklich aus eigenem Antrieb ihren Hut in den Ring geworfen?


569 wagen den Protest im Internet - von 16 Millionen


Kasache von Geburt und nicht vorbestraft mussten sie sein, fließend die Staatssprache Kasachisch sprechen (in einem Land, in dem jahrzehntelang nur Russisch gesprochen worden war), 90.000 Stimmen im Land sammeln und 800.000 Tenge hinterlegen, 3800 Euro. Schon ein einziger Fehler bei der notwendigen Sprachprüfung bedeute für den Kandidaten das Aus, teilte der Chef der Wahlkommission mit. Während Nasarbajew, der Führer der Nation, den Kasachisch-Test auf Anhieb fehlerfrei bestand, fielen einige seiner Mitbewerber schon an dieser Stelle mit Pauken und Trompeten durch. Den größeren Teil des Rests sortierte man auf andere Weise aus.


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Übrig blieben vier Kandidaten, die diesen Sonntag tatsächlich zur Wahl antreten. Der eine von ihnen ist Nasarbajew. Die anderen drei haben sicherheitshalber schon im Vorfeld erklärt, dass nicht etwa der Staatschef ihr Gegner bei der Abstimmung sei, sondern die jeweils anderen Mitbewerber. So viel Selbstlosigkeit dürfte weltweit beispiellos sein. Ebenso wie die Meinungsumfragen, die es vor der Wahl in Kasachstan gab: Die erste und wichtigste Frage dort lautete: "Welcher der Kandidaten wird Ihrer Meinung nach den zweiten Platz bei der Präsidentenwahl belegen?" Nach dem ersten wurde erst gar nicht mehr gefragt, denn Nasarbajews Sieg steht ja fest. Dieser Urnengang sei eine Frechheit und illegitim, sagt die einzige gewichtige Oppositionspartei Asat, die die Abstimmung boykottiert.


"Unser ziviler Boykott wird darin bestehen, dass wir am 3. April einfach zu Hause bleiben und uns im Fernsehen die Bilder aus den leeren Wahllokalen anschauen", schrieb - unter dem Schutz der Anonymität - ein kasachischer Blogger der Oppositionszeitung "Nowaja gaseta". Offen aufzubegehren trauen sich bislang nur wenige. Anfang März hatte irgendjemand im Internet eine Seite eingerichtet mit dem Appell "Nasarbajew in den Ruhestand". Dessen Herrschaft sei durch "totalen Diebstahl und Korruption und durch die Vernichtung seiner politischen Gegner gekennzeichnet", steht dort. Und dann wird zur Unterschrift aufgerufen, mit Name, Beruf und Postanschrift. 569 Kasachen hatten sich bis kurz vor der Wahl der Forderung nach einem Amtsverzicht Nasarbajews angeschlossen. 569 von 16 Millionen. Der Rest befürchtet offenbar, hinter der Web-Seite stecke das Präsidentenamt.


Was aber hat Kasachstan mit Libyen zu tun? Nicht viel. Oder doch? Gaddafi lässt seine Gegner mit Bomben und Raketen bekämpfen. Nasarbajew macht das nicht. Möglicherweise ist das der einzige Unterschied.


www.spiegel.de

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