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Vertrieben aus Almaty

serik medetbekovSerik Medetbekov, einst Medienmanager in Kasachstan, lebt heute in Dresden und ist Sprecher oppositioneller Kräfte im Ausland. 

 

Der Mann sieht aus wie 40, ist aber schon 50. Seine angenehme Stimme hüpft gern vom Deutschen ins Englische. Auch das einladende Lächeln gehört wohl zum Geheimnis von Serik Medetbekovs jugendlicher Erscheinung. Dabei hat der Mann aus Kasachstan eine ernste und berührende Geschichte zu erzählen.

 

Mit seiner Familie lebt der einst erfolgreiche Unternehmer heute in einer kleinen Wohnung am Dresdner Wasaplatz. Sie reiche ihm aus, sagt er. „Reichtümer sind nicht das, wofür wir leben." Ilona, seine Frau, arbeitet in einem großen Kaufhaus im Stadtzentrum, Alex, der 16-jährige Sohn, geht noch zur Schule. Alles, was er brauche, sagt Serik Medetbekov, sei ein schneller Computer und ein schnelles Internet. Er programmiert und gestaltet Internetseiten und produziert Dokumentationen über Kasachstan. Darin schildert er die Situation in seiner Heimat – nicht gerade zur Freude des Regimes in Astana. Deshalb sind Medetbekovs Verbindungen in das Land zwischen Altai und Kaspisee nur noch virtuell. Freunde versorgen ihn via Internet mit dem Neuesten. Denn vor zwölf Jahren musste er seine Heimat verlassen.

 

Das einzige unabhängige Radio

 

1996 lebte Medetbekov noch in Almaty, wo er 1961 zur Welt kam und Maschinenbau studierte am Landwirtschaftlichen Institut. Später besuchte er das Taschkenter Institut für Elektronische Kommunikation. Nach 1990 war er als Eventmanager im Musik- und Showgeschäft, ehe er 1996 einen eigenen kleinen Medienkonzern aufbaute. Seine Firmen produzierten Animationsfilme und Fernsehbeiträge. Er gründete die ersten Privatsender im Lande: Radio RIK und TalkRadio.

 

Über allem stand eine Media-Holding, in der die geschäftlichen Aktivitäten zusammenliefen. Vor allem der 1998 gegründete Radiosender Russian Radio machte Medetbekovs Medienfirma bekannt und profitabel. Er strahlte Sendungen der gleichnamigen, sehr populären russischen Radiostation aus. Auch Sendungen der BBC und der Deutschen Welle durfte er ins Programm nehmen. „Wir mischten das mit eigenen Nachrichten und mit Musik", erzählt er. 1999 sei er Marktführer gewesen auf dem kasachischen Radiomarkt.

Das passte besonders einem Mann nicht: Rachat Alijew, zu dieser Zeit verheiratet mit Dariga, der ältesten Tochter des allmächtigen kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew, der seit 1984 das Land beherrscht. Der Schwiegersohn, zwei Jahre jünger als Medetbekov, bekleidete hohe Ämter und war gleichzeitig Geschäftsmann – auch in der Medienbranche.

 

Im Mai 1999 bestellte ein Abgesandter Alijews Serik Medetbekov ein. „Der Mann managte Alijews Finanzen und handelte in dessen Auftrag. Ich sollte alle liquiden Mittel aus den Werbeeinnahmen meiner Sender auf das Konto einer Werbeagentur des Senders Europe plus transferieren. Der Sender stand unter Alijews Kontrolle." Der kassierte fortan die Werbeeinnahmen von Medetbekovs Radiostationen. „Sie ließen mir nur so viel, um die Stationen am Laufen zu halten."

 

Zudem kam eine deutliche Ansage: „Hätte ich diese Anordnungen nicht befolgt, hätte das ein Nachspiel gehabt, sie hätten mir etwas angehängt", sagt Medetbekov. „In Almaty gab es eine Menge Firmen, die Gewinne an Alijew abgeben mussten." Es dauerte nur wenige Wochen, da bedrängten Alijews Leute Medetbekov, seine Nachrichtensendungen zu beenden und die Journalisten zu entlassen. „Die News waren sehr wichtig für unser Projekt. Wir waren eine der wenigen unabhängigen Informationsquellen im Land." So habe Russian Radio als einer der ersten Sender über „Kasachgate" berichtet – jener Bestechungsaffäre in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre, die bis in die Staatsspitze reichte.

 

Schlüsselfigur der Affäre war der US-Bürger James Giffen, der als persönlicher Finanzberater Nasarbajews in Astana tätig war. Giffen war aber auch Unterhändler des US-Öl-Konzerns Mobil Oil und fädelte einen Milliarden-Deal ein. So viel zahlte der Konzern für Förderrechte auf den Ölfeldern im westkasachischen Tengiz. Etwa 84 Millionen US-Dollar davon landeten auf Schweizer Bankkonten, wo sie eingefroren wurden. Als sich Giffen später vor einem US-Gericht wegen Bestechung kasachischer Amtsträger verantworten musste, erklärte er, dass US-Behörden, wie die CIA, über sein Treiben in Astana informiert waren. Präsident Nasarbajew wurde angeblich im Gericht als Begünstigter genannt.

 

Vom Ziehsohn zum Staatsfeind

 

Schon nach den ersten Sendungen über „Kasachgate" im Sommer 1999 im Russian Radio seien Alijews Leute gekommen. „Sie brachten ihren eigenen Direktor für Russian Radio mit", erzählt der 50-Jährige. „Ich erfuhr außerdem, dass die Finanzbehörde im Begriff war, ein Steuerverfahren gegen mich zu konstruieren. Chef der Finanzpolizei war Rachat Alijew." Bald musste Medetbekov seinen erfolgreichsten Sender vollkommen dem Schwiegersohn des Präsidenten übertragen. Die Lage wurde unerträglich. „Meine Familie litt, Büro und Wohnung wurden überwacht, Männer in Polizeiuniformen folgten mir", erzählt er. Die Familie packte das Wichtigste in ein paar Koffer, ließ alles zurück und verließ Kasachstan. Medetbekov besaß ein USA-Visum. „Das hat uns sehr geholfen."

 

Rachat Alijew, sein Widersacher, startete dagegen richtig durch. Als Vizeaußenminister, Vizegeheimdienstchef und Diplomat zählte er zum engsten Kreis der Mächtigen. Er hatte das Sagen in Medien-, Öl- und anderen Firmen – bis 2007, als er in Ungnade fiel, zwangsgeschieden wurde und nun als „Staatsfeind Nr. 1" gilt. Offenbar wollte Alijew seinen Schwiegervater schneller beerben, als dem lieb war. Noch im Frühjahr 2007 hatte das Parlament Nasarbajew durch eine Verfassungsänderung als Präsident auf Lebenszeit inthronisiert – just als Alijew, gerade Botschafter in Wien, ankündigte, er wolle bei der nächsten Präsidentenwahl gegen seinen alten Herren antreten. Das habe dem gar nicht gefallen, schreibt Alijew in seinem Enthüllungsbuch „Godfather-in-law" und bezeichnet sich als Opfer einer Intrige.

 

Serki Medetbekov hält inne, zündet sich eine Zigarette an und sagt, es sei schon merkwürdig, dass der Mann, der ihn und seine Familie aus der Heimat vertrieben hat, nun selbst auf der Flucht vor dem Regime ist.

 

Die kasachischen Behörden machen den Ex-Schwiegersohn des Präsidenten für den Tod von zwei Managern der „Nurbank" verantwortlich, die Alijew mehrheitlich gehörte. Die Banker waren am 31. Januar 2007 verschwunden. Ihre Leichen, so berichteten Wiener Zeitungen, wurden erst Mitte Mai 2011 gefunden – auf einem Fabrikgelände, das mal Alijew gehörte. Der einstige Ziehsohn ist inzwischen all seine Ämter los und wurde 2008 in Almaty wegen Erpressung, Entführung und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu 20 Jahren Haft verurteilt. Es war ihm aber zuvor gelungen, seine Firmen einem Strohmann zu überschreiben – auch die Radiostation, die er Medetbekov gestohlen hatte.

 

Wien zwischen allen Stühlen

 

Der Fall Alijew zwingt Österreich bis heute zu diplomatischen Drahtseilakten. Hier war er jahrelang Botschafter und nach seiner Abberufung Exilant. Zweimal lehnte Wien Alijews Auslieferung ab, der jede Verbindung zum Tod der Banker bestreitet. „Er hat einflussreiche Freunde in Wien", sagt Medetbekov. Doch vor Wochen leitete die Alpenrepublik überraschend Ermittlungen gegen Alijew ein – nach einer Strafanzeige der Banker-Witwen, die um Aufklärung kämpfen.

 

So steht Wien zwischen den Fronten eines erbitterten Kampfes. Auf der einen Seite der Autokrat Nasarbajew in Astana, auf der anderen sein geschasster Kronprinz, der heute an einem geheimen Ort leben soll – auf der Flucht vor einem Killerkommando aus der Heimat.

 

Serik Medetbekov erzählt, dass es in dem Streit um Geld und Macht gehe im einzigen Tigerstaat Zentralasiens, den die Industrienationen umwerben wegen seines Reichtums an Erdöl und Erdgas. In Washington, Paris und London streitet Kasachstan vor internationalen Schiedsgerichten um die Rückgabe der Firmen, die Alijew ins Ausland schaffte, ehe er in Ungnade fiel. Dabei geht es auch um die Enteignung von Serik Medetbekov, um sein Russian Radio.

 

„Ich erfuhr zufällig davon und stellte fest, dass Alijew als Zeuge falsche Aussagen machte", erzählt Medetbekov. So schreibe Alijew den Gerichten, dass er 1993 bis 1996 das Russian Radio gegründet und betrieben habe. „Eine Lüge. Der Sender wurde erst 1998 gegründet und hatte nur einen rechtmäßigen Eigentümer: mich", sagt Medetbekov. Er glaubt, dass Alijew das Gericht missbraucht, um seine eigene Wahrheit in die Welt zu setzen und Legenden zu bilden.

 

Astana ist nicht Tunesien

 

Deswegen mischt er sich ein in den großen Streit um Milliarden und hat selbst eine Zeugenaussage zu Russian Radio an das Gericht geschickt. „Sicher wird meine Enteignung in der Heimat dadurch nicht aufgehoben. Aber es kann nicht sein, dass der Mann, der uns bestohlen hat, sich nun als rechtmäßiger Eigentümer unserer Firmen ausgibt", sagt Serik Medetbekov.

 

Er ist fast am Ende seiner Geschichte. Unter einem der Sonnenschirme des Cafés an der Dresdner Schinkelwache nimmt er den letzten Schluck seines schwarzen Kaffees. Medetkebovs Blick wird etwas schwermütig, wenn er über seine Heimat spricht. Als Leiter des Auslandsbüros der kasachischen Opposition hat er es nicht leicht. Zu passiv würde der Westen die Menschenrechtsverletzungen in Kasachstan beobachten, sagt er. „Es fällt schwer, uns Gehör zu verschaffen." Auch den Deutschen sei das Interesse an guten wirtschaftlichen Beziehungen wichtiger als Demokratieverletzungen in Kasachstan. Der Besuch der Bundeskanzlerin 2010 habe das gezeigt. Angela Merkel lobte Nasarbajew als viertwichtigsten Erdöllieferanten Deutschlands. Die Wirtschaft schloss Verträge für zwei Milliarden Euro. Kein Wort von dem, was im Exil lebende Oppositionelle vor der Reise einigen Begleitern Merkels über die Lage in ihrer Heimat berichtet hatten.

 

Serik Medetbekov weiß, dass er so bald nicht zurückkann nach Kasachstan. „Bei uns sind die Leute nicht so wie in Tunesien, Ägypten oder Libyen", sag er etwas traurig.

 

Foto: Robert Michael

Von Thomas Schade

 

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